Ihr wisst ja sicher, was Emotionen sind und was Gefühle oder?
Nur ganz kurz als Randerklärung, damit ihr wisst, wovon ich hier jeweils spreche:
Ein Gefühl entsteht in dir, zum Beispiel Freude, Liebe, Wut, Trauer. Die Emotion zu dem jeweiligen Gefühl ist das, was in deinem Körper als Reaktion entsteht. Zum Beispiel: die Reaktion auf Liebe ist eine Umarmung, ein Kuss, ein Lächeln. Die Emotion zur Wut zum Beispiel ist Schreien, Teller an die Wand werfen, vielleicht auch Rennen oder Weinen.
Viele Erwachsene haben verlernt, dass Emotionen zu den Gefühlen dazugehören und damit können sie häufig auch die Emotionen nicht mehr “lesen”. Das macht die Kommunikation insbesondere mit Kindern sehr schwierig. Denn Kinder reagieren ja noch naturgegebenermaßen körperlich (also emotional) auf ihre Gefühle. Und diese Emotionen können uns auch einfach komplett überfordern, oder? Sogar unsere eigenen. Und deshalb schlucken wir sie auch so oft herunter. Wenn wir zum Beispiel wütend sind dann essen wir schnell Schokolade und Eis oder trinken ein Glas Wein, oder zwei. Oder drei. Wenn wir traurig sind dann gehen wir shoppen oder lenken uns mit Hausarbeit ab. Manchmal reagieren wir auch einfach gar nicht und schlucken alles herunter, so gut es geht und lächeln nach außen hin und lassen uns nichts anmerken. Damit geben wir unseren Gefühlen keine Wertschätzung mehr und verlernen die emotionale (=körperliche) Reaktion auf unsere Gefühle und sperren beides gewissermaßen weg.
Das kann lange gut gehen, manchmal explodiert es ohne Vorwarnung und statt etwas aus Wut zu zerknüllen fliegt ein ganzer Stapel Teller an die Wand. Denn was wir nicht kontrollieren kontrolliert irgendwann uns oder? Aber darüber will ich gar nicht so tiefgreifend sprechen heute.
Eigentlich wollte ich euch eine kleine private Geschichte erzählen. Über die Emotionen und Gefühle, die mich in meinem kleinen Leben immer wieder abpassen. Ich weiß das zwar manchmal vorher schon, aber trotzdem reagiere ich häufig im selben Muster, ich hab es noch immer nicht ganz aufgelöst.
In den Ferien ist mein süßes Töchterlein hälftig nicht hier, sondern der Patchworkthematik geschuldet im Land Weit-Weit-Weg. Weit-Weit-Weg ist ganz woanders, es herrschen andere Regeln und andere Gesetzmäßigkeiten. Das, was bei uns unten ist, ist dort manchmal oben und umgekehrt. Das ist nicht leicht für mein Töchterlein und das ist nicht leicht für uns alle. Und dass mein Töchterlein in dieses Weit-Weit-Weg geht fühlt sich auch nach all den Jahren für mich komisch an, fremd und unrichtig und dazu habe ich Gefühle: Schuld, Trennungsschmerz, Trauer, unerwiderte Liebe. Das sind ganz schön viele Gefühle auf einen Schlag. Meinem Töchterlein geht es da ganz ähnlich. Und wir sind dann, gewissermaßen, füreinander stark. Manchmal jedenfalls. Solange der jeweils andere da ist jedenfalls. Ablenken klappt häufig ganz gut, essen hilft auch. Und das kann durchaus verhängnisvoll sein. Vom steigenden Gewicht mal abgesehen leiden auch die Kleider darunter. Sie bleiben nicht nur im Schrank hängen, obwohl sie ausgeführt werden wollen, sondern sie werden an Stellen beschmutzt, die ganz sauber sein möchten. Und das passiert so:
Das Töchterlein weint. Sie weint und hält sich fest. Ich halte sie auch, bin etwas überrascht, denn das hatten wir lange nicht. Viele Tränen, beim Abschied von mir. Also halte ich sie einfach, streiche ihr beruhigend über den Rücken, flüstere “shhh” und “ist ja gut” zu, genauso wie ich es gemacht hab, als sie ein kleines Baby war. Sie weint in meine Halsbeuge, die ganz warm und feucht wird. Von oben tropfen dicke Regentropfen auf mein Haar, das ganz wirr ist. Ich lasse sie weinen. Bis sie sich entschuldigt, weil sie so traurig ist. Ich bin fast ärgerlich, aber auf mich. Warum führt Traurigkeit bei ihr zu der Emotion einer Entschuldigung? Ich sage ihr, dass das in Ordnung ist, dass Traurigkeit in Ordnung ist, dass Weinen in Ordnung ist. Sie weint weiter, ich halte sie. Der Abschied wiegt schwer, im Hals fühlt es sich so an, als hätte ich aus Versehen eine Chilischote gegessen. Wenn ich eine Emotion zeigen würde, wäre es dann einfacher für sie? Aber wie soll ich ihr das zeigen? Ich fühle so viel, dass ich vor lauter Fühlen fast taub bin. Und ich fühle sie dazu, diese große Traurigkeit, diese große Wut und das Ablehnen dieser Situation.
Sie weint noch immer, als sie davonfahren. Davon nach Weit-Weit-Weg. Ich stehe auf dem Parkplatz und fühle mich ein wenig benommen. Mein Körper ist ganz schwer, mein Bauch wird durch eine Bleiplatte nach innen gedrückt und mein Kopf wackelt irgendwie merkwürdig herum. Gut, dass heute Sonntag ist, niemand sieht mein emotionales Wackeln. Ist das Wackeln jetzt meine neue Emotion auf schwere Trauer?
Ein weiteres Gefühl kommt dazu: Ohnmacht. Das Gefühl kenne ich und ich lehne es ab. Immer noch und immer wieder. Wenn man gar nichts machen kann, das ist schrecklich. Nichtmal ablenken hilft dann mehr. Ja vielleicht doch, ein bißchen. Viel Wein vielleicht. Essen… essen hilft immer. Mein Magen knurrt als Antwort. Also fahre ich zu McDonalds. Ich fahre sonst nie zu McDonalds. Seit bestimmt drei oder vier Jahren nicht mehr. Aber heute… Mein Gehirn wackelt auch, und ein Bild von einem Burger wackelt als Bild im Gehirn mit. Ich hole mir das, was ich mir immer holte, vor drei oder vier Jahren: ein DoubleCheeseburger Menü und einen Milchshake. Pommes schmecken am besten mit Milchshake. Und kaum hab ich mein Menü in der Hand esse ich schon los. Ich esse und esse und trinke Milchshake, bis ich auf einmal denke: Stopp. Was passiert da gerade mit mir? Emotionales Essen. Erwischt. Das ist ja nicht neu. Dass ich mich erwische ist auch nicht so ganz neu, ein bißchen vielleicht. Die Bleiplatte auf dem Magen wird durch einen dicken Burgerundpommesknoten ersetzt, der jetzt da hockt und den Rest des Tages grinsen wird. Und weil ich so entsetzt bin fällt mir die Cola auf den Pulli. Ich glaube, Colaflecken kriegt man nicht so richtig rausgewaschen. Kaffee geht, Cola irgendwie nicht so gut. Ich erinnere mich dunkel an meine einstige weiße Lieblingsbluse aus Satin mit den großen silbernen Knöpfen. Die war auch so einem Emotionsfleckunfall zum Opfer gefallen. Ach man… jetzt bin ich schon so alt geworden und auf dieser Ebene immer noch nicht zur wahren Weisheit gelangt. Weder was das Raus-Waschen von komplizierten Flecken angeht noch was das emotionale Essen mit begleiteten Emotionsfleckunfällen angeht.
Ich bin sicher, dass ich am nächsten Sonntag mein Töchterlein wieder in meine Arme schließen werde und ich sie dann noch immer genauso liebe wie heute. Und ich bin sicher, dass ich uns alle mit Liebe heilen werde. Und wir uns gegenseitig. Aber ich bin auch sicher, dass ich dann wieder ein bißchen überfordert sein werde mit all den Gefühlen, die auf einmal in mir spürbar sind. Vielleicht weine ich dann mal – einfach so als Emotion. Statt zu essen mit begleiteten Emotionsfleckunfällen. Weinen macht auch Flecken. Aber die trocknen ja zum Glück fast fleckfrei und von selbst.
Ich wünsche euch allen einen emotional ausgeglichenen Abend
Eure Susanne