Klinikzauber

Kleine Zauberer müssen in die Klinik. Immer mal wieder und manchmal öfter mal wieder. Vielleicht wirkt das für manche Eltern erschreckend, vielleicht ist es das sogar. Für uns ist es ein bißchen wie Nebenmanchmalalltag. Es gehört dazu und muss sein. Vielleicht ist der Umstand, dass wir überhaupt regelmäßig in die Klinik müssen erschreckend. Aber die Gedanken dazu liegen im Gehirnfach gleich links hinterneben dem Nebenmanchmalalltag. Manchmal liegen sie ganz vorn, gleich neben dem Zentrum für Nervosität. Ich mache das immer so, dass ich sie dann mal eben schnell bearbeite und dann wieder in das Fach lege, wo groß draufsteht: Nebenmanchmalalltagmitkomischengedankendazu. Bis zum nächsten Mal. Das dauert häufig dann solange, bis der nächste Nebenmanchmalalltag ansteht.

Ich finde, wir haben sehr viel Glück. Mit sehr vielen Dingen. Mit dem kleinen Zauberer sowieso. Aber auch mit den Dingen, die mit dem kleinen Zauberer in unseren Alltag, Manchmalalltag und Nebenmanchmalalltag vorkommen. Und die Klinik, in die wir gehen, ist auch so ein Glücksfallding. Wissenschaftlich gesehen würde man das vermutlich ganz anders ausdrücken. Denn in der langen Reihe der Möglichkeiten war das Möglichkeit Nr. 11,374. Oder sowas in der Art. Ich finde aber es ist Glück.

Ja, ein Klinikflur ist eben ein Klinikflur und ein Klinikbadezimmer hat was von diesen Hollywoodthriller-Badezimmern, wo Schocktherapien an geschockte Schockierte verabreicht wurden. Das liegt an der Praktikabilität. Und am Klinikalltag. Nehme ich an.

Aber Klinikzimmer zum Beispiel unterscheiden sich sehr. Oder die Alltagstracht, die das Klinikpersonal trägt. Oder die Freundlichkeit, die im Haus herrscht. Insgesamt die Luft, die in so einem Haus vorherrschend ist. Die Energien, die in den Wänden sitzen. Oder das Essen. Das Essen in den Kliniken, die wir vorher besucht hatten war irgendwo zwischen ziemlich schrecklich und ungenießbar einzuordnen. Ich habe mich immer gefragt, warum kranke Menschen so mit Essen gefoltert werden müssen und wie sie da gesund werden sollen. Hier ist das Mittagessen wirklich gut und zum Frühstück und Abendessen bekommt man frisches Obst und Gemüse.

Das Epilepsiezentrum hier ist keine Notfallklinik – und so erfreut man sich ganz allgemein am Fehlen von Sirenen, lauten Stimmen und nächtlichem Flurgerenne. Es gibt keine Piepgeräusche, die durch das Gebäude bohren und auch keine abgehetzten Ärztinnen oder Krankenschwestern.

Hier sind die Zimmer klein und fein und sehr freundlich durch die Farbgebung. Das Personal kann sich seine Tracht ganz selbständig aussuchen und geruhsam arbeiten. Und das ist so wundervoll, hier hat jeder Zeit und es herrscht eine echte Freundlichkeit. Nach all den Klinikbesuchen, wo eine Epilepsiestation in einem “normalen” Krankenhaus integriert ist mit all dem lauten schnellen Stress ist das eine echte Wohltat. Fast so, als wäre man in der Reha und gar nicht im Krankenhaus. Bis man eben wieder auf den Flur geht. Oder in das Badezimmer.

Zu unserem Pflichtprogramm bei jedem Klinikbesuch gehört immer auch das EEG. Wenn du noch nie ein EEG hattest, dann erzähle ich dir mal ganz kurz, wie das geht (so im Nebenmanchmalalltag):

Zuerst wird dein Kopf mit einer sehr salzig schmeckenden und klebrig-kühlen Flüssigkeit eingerieben. Woher ich weiß, dass das extrem salzig ist? Nun, der kleine Zauberer findet keinen rechten Genuss an diesem Herumgewische an seinem Kopf und bewegt diesen entsprechend hin und her, dabei kann es dann passieren, dass sein Kopf just in dem Moment auf meinen Mund trifft, als ich gerade sprechen will. Tja, er hat ja Recht: Schweigen ist einfach manchmal Gold.

Nachdem nun diese Flüssigkeit verteilt ist gibt es eine ganz kurze Erholungspause. Doch nur ganz kurz, dann kommt die Haube. Diese Haube ist besetzt mit vielen kleinen in der Mitte gelochten Plastikhütchen, die innen mit Drähten allüberall versehen sind – im Nackenbereich laufen nun all diese Drähte zusammen und vereinen sich in einem dicken Plastikstück. Diese Haube muss nun passgenau auf den Kopf gezogen werden, die Ohren müssen durch entsprechende Vorrichtungen geschoben werden und dann wird diese Haube nun unter dem Kinn zusammengebunden.

Jetzt wird’s richtig spannend:

Jedes dieser kleinen Löcher der Plastikhütchen wird mit einem kalten Gel aus einer Spritze (mit einer extrem langen Metallnadel) befüllt. Das dauert eine Weile und kann bei kleinen Zauberern zu Unwillen führen, denn das Gel ist kalt und ein Genuss der Haube auf dem Kopf noch nicht abzusehen.

Ist das nun endlich geschafft werden noch zwei Kontakte links und rechts vom Schlüsselbein angebracht – dann wird die Haube angeschlossen. Und das blinkt dann wie verrückt in dem Anschlussgerät – und meistens blinkt anfangs sehr wenig grün und das meiste rot. An der Stelle bekomme ich immer spontan eine Magendrehung. Denn nun beginnt der Horror: Mit einem langen Holzstäbchen und neuem Gel wird an den Stellen “gepult” und “gepult”, bis es von rot auf grün springt. Manchmal macht es noch einen Zwischenstopp bei orange. Das kann sich recht lange hinziehen. Und an der Stelle wird die Genussprobe des kleinen Zauberers soweit überdehnt, dass er sich mit allen Tentakeln wehrt und sehr sehr weint. Ich halte ihn dann also fest und rede beruhigend auf mich (ich meinte auf ihn) ein.

Wenn das alles geschafft ist und wir alle erschöpft stehen bzw. sitzen und etwas jappsen muss der kleine Zauberer auch noch seinen Mund aufmachen und brav Melatonin nehmen, damit er schlafen muss. Denn nur während ein Mensch schläft ist das EEG innerhalb der Epilepsieerkrankung einigermaßen aussagefähig – denn natürlich hat man im Wachzustand andere Gehirnwellen als im Schlafzustand.

Natürlich schaffen wir das auch noch – und mit ganz ganz viel Glück schläft er dann auch. Eigentlich will er nicht, das merke ich, aber manchmal gehts eben nicht anders und dann muss er. Obwohl er nicht will. Das, was wir Menschen miteinander so machen ist wirklich häufig recht merkwürdig. Oder?

Das Tüpfelchen auf den Merkwürdigkeiten ist eigentlich auch immer dann, wenn wir zu unseren Kindern sagen: “Das hast du aber ganz toll gemacht!” Wenn die Kinder älter wären würden sie uns angucken und mit Recht fragen: Sag mal, willst du mich zum Besten halten? Ich meine, ist ja nicht so als hätten sie eine Wahl. Und manchmal muss man laut weinen und doll festgehalten werden, sogar am Kopf und sogar von Mama, die doch sonst zum liebhaben und so da ist – und manchmal reicht´s auch, wenn man sich auf die Zunge beißt und alle Tränen runterschluckt. Aber das hast du toll gemacht? Uff. Harte Sache das.

Um das EEG-Thema noch abzuschließen: dann (also als Endergebnis quasi) werden also die Gehirnströme gemessen. Idealerweise im Schlafzustand. Und auch im Wachzustand. So zwischen 30 – 45 Minuten. Das Ergebnis sieht für uns Laien in etwa so aus, als wenn ein 2 1/2-jähriges Kind den Kohlestift von Mama auf der Wohnzimmerwand ausprobiert.

Heute bekam der kleine Zauberer nach dieser Tortur (würde fast Sinn machen, wenn die im Badezimmer stattfinden würde fällt mir dabei ein. Dann würde der hollywoodthrillernahe Raum seiner Stimmung tatsächlich gerecht) aber gleich mal zwei Belohnungen: zum einen das Bad – glücklicherweise hat er sich auf das Wasser und den Schaum fokussiert und die Thrillerstimmung ignoriert. Er liebt es zu Baden und es hat solche Freude bereitet ihm dabei zuzusehen. Danke also an die Klinik, dass die uns ein Badezimmer mit Badewanne zur Verfügung stellen – Stimmung hipp oder hopp. Und danach – da kam sogar ein Klinikclown! Ein richtig echter Klinikclown. Sowas haben wir ja noch nie erlebt und der kleine Zauberer, der ja sonst eher sehr verhalten mit diesen Dingen ist, hat sogar gelacht. Richtig gelacht und war dabei.

Ich finde das ist ein ganz großartiger Torturtag-Nachmittag gewesen. So mit Bad in Thrillerbadezimmer und Klinikclown auf Klinikflur. Toll! Und der Clown hat sogar Musik gemacht und dann noch gezaubert. Lauter Tiere hat er herbeigezaubert, die konnten sogar weit springen und der kleine Zauberer bekam einen sehr langen Dackel und einen Ottifanten. Und das alles ganz allerliebst und herzlichsüß, dass auch die Erwachsenen ganz weiche Augen bekommen haben.

Und wir dürfen schon ganz schnell diesmal wieder nach Hause. Mit einem, wie fast immer, leicht komischen Gefühl in der Magengegend, weil das mit den Medikamenten immer so eine Sache ist und einem sehr müden kleinen Zauberer, für den so ein Klinikbesuch als Manchmalnebenalltagserfahrung sehr anstrengend ist. Also werden wir uns den Rest der Woche zu Hause erholen und den Klinikclown in sehr guter Erinnerung behalten (und vielleicht auch mal wiedersehen, wer weiß).

Also schenkte uns unser Klinikbesuch echten Klinikzauber in diesem wunderbar zauberhaften Oktober. Da haben wir fast ein kleines bißchen Lust wiederzukommen. Aber nicht so ganz bald.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern einen zauberhaften Tag – und ganz zauberhafte Erlebnisse!

Eure Susanne

 

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